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denkXmal – Von Viktoria zu Fux

Treppenhaus-Ausstellung zur Nutzungsgeschichte einer wilhelminischen Kaserne in Hamburg-Altona

Versteckt in einer Nebenstraße der Verkehrsachse Max-Brauer-Allee liegt der wuchtige, mit zwei Zinnentürmen bewehrte Block III der ehemaligen Viktoria-Kaserne in Hamburg-Altona. Das Backsteinungetüm ist der Überrest einer großen kaiserzeitlichen Anlage, die in den Jahren 1878 bis 1883 am nördlichen Stadtrand erbaut wurde. Die neue Kaserne wurde in Folge der drei preußischen Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich und der Gründung des deutschen Kaiserreichs errichtet. Sie war steingewordener Ausdruck des preußischen Militarismus und Expansionismus. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie bis in die 1980er-Jahre als Polizeistandort genutzt. In ihrer 140-jährigen Geschichte ist sie ein bedrückender Spiegel deutscher Geschichte mit all ihren Schrecken. Heute beherbergt sie ein Zentrum für Kunst, Kultur, Handwerk und Bildung unter dem Dach der Fux Genossenschaft. Mit der zivilen Umnutzung sollte auch ein anderer Geist einziehen. Elementare Voraussetzung dafür war und ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Nutzungsgeschichte des Gebäudes.

Um diesen Platz auch in einen Gedenkort zu verwandeln, wurde die Idee einer Treppenhaus-Ausstellung entwickelt. Dazu fand sich ein Team aus der Geschichts-AG und Design-AG des Hauses zusammen, das sich dabei auf Vorarbeiten insbesondere Frank Omlands stützen konnte, der bereits mehrere Publikationen zum Thema vorgelegt und eine Außenausstellung in der Zufahrt zum Innenhof der Kaserne erarbeitet hatte. Von unschätzbarem Wert war auch die Zusammenarbeit mit externen Expert*innen, Historiker*innen und Zeitzeug*innen wie z.B. Peggy Parnass, Wolfgang Kopitzsch oder Herbert Diercks. Anlass zu der neuen Ausstellung bot die Umgestaltung eines Treppenhauses, in der durch eine freischwebende Treppe große Wandflächen über mehrere Etagen mit ungewöhnlichen Blickwinkeln und Perspektiven zur Verfügung standen. Es entstand die Idee einer Ausstellung, die sich von klassischen Konzepten lösen und vor allem künstlerischer Mittel bedienen sollte und dabei mit der Materialität und Architektur des Hauses auseinandersetzen und in sie selbst eingreifen wollte. Die leeren Wände fungierten als Projektionsfläche, die Inspirationen von Wandmalerei über Graffiti bis zur Schablonentechnik der Streetart erlaubte. Hilfreich war das hohe synergetische Potential, das durch die verschiedenen Kompetenzen und Professionen im Haus vorhanden war, die sich in produktiver Weise miteinander verschränkten: Illustratorinnen und Grafiker, Graffiti-Künstler und Designer, Handwerker und Text- und Bildungsarbeiter*innen arbeiteten in einem Prozess zusammen, der durch Austausch, Respekt, Zuhören und Voneinanderlernen geprägt war, sodass sich die unterschiedlichen Erfahrungen wechselseitig bereichern konnten.

Deutsche Geschichte ist in der ehemaligen Kaserne in gespenstischer Dichte gegenwärtig: In der Folge dreier Kriege erbaut, waren Soldaten des hier stationierten 31. Infanterieregiments Graf Bose 1901 an der Niederschlagung des Boxeraufstands in China beteiligt. Im Ersten Weltkrieg war das Regiment am Überfall auf das neutrale Belgien beteiligt; es wurden Massaker an Zivilisten verübt und Dörfer niedergebrannt. Einen kurzen Lichtblick in der Geschichte bot die Novemberrevolution, in deren Verlauf auch in der Kaserne ein Soldatenrat gegründet wurde und Gefangene aus dem Polizeigefängnis und der Militärarrestanstalt befreit wurden. Nach der Demobilisierung des Regiments wurde die Kaserne in der Weimarer Republik zum Standort der kasernierten Polizei und war ab 1923 Sitz des Polizeipräsidiums Altona-Wandsbek. Ein dramatischer Moment dieser Geschichte war der Altonaer Blutsonntag, bei dem nach einem SA-Aufmarsch in der linken Arbeiterhochburg Altona-Altstadt insgesamt 18 Menschen erschossen wurde, 16 von ihnen von Hamburger und Altonaer Polizei. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten war die Kaserne von 1933–35 Sitz der Gestapo Schleswig-Holsteins und somit eine Schaltstelle zur Niederschlagung des sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstands sowie der Bekämpfung von Menschen, die als außerhalb der „Volksgemeinschaft“ stehend gebrandmarkt wurden. Die Reit- und Exerzierhalle war Sammelpunkt für die erste Massendeportation von Jüdinnen und Juden aus Deutschland im Rahmen der sog. Polenaktion am 28. Oktober 1938. Das mit Abstand finsterste Kapitel der Gebäudenutzung stellt der Zweite Weltkrieg dar. Die zum Teil hier aufgestellten und stationierten Polizeibataillone waren von Beginn an am Überfall auf Polen, an Zwangsumsiedlungen und Geiselerschießungen beteiligt. Sie begleiteten als Wachpersonal die Züge, mit denen die Hamburger Roma und Sinti und Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden. Hamburger Reservepolizeibataillone waren als zentrale Akteure des Holocaust ab 1942 an Massenerschießungen von Jüdinnen und Juden u.a. im Rahmen der sog. Aktion Reinhardt beteiligt. Nach dem Krieg folgte eine kurze Phase der Entnazifizierung und Reeducation unter britischer Regie, die mit der Übertragung an deutsche Behörden jedoch ein abruptes Ende fand. Ein weiteres Kapitel der Gebäudenutzung sind die Wohnlager der Nachkriegszeit, die in den mittlerweile abgerissenen Blöcken II und III der Kaserne untergebracht waren. Mit Meeresbiologie, Informatik der Universität sowie der zolltechnischen Lehr- und Prüfanstalt wurde eine zivile Umnutzung eingeleitet. Diese erhielt einen wesentlichen Schub mit dem Einzug des Künstlerkollektivs Frappant im Jahr 2010 und der Übernahme des Gebäudes im Jahr 2015 durch die Fux eG.

Die Ausstellung musste sich also mit einer über weite Strecken äußerst bedrückenden Geschichte auseinandersetzen und glich zum Teil einer kollektiven Geisteraustreibung. Das Ausstellungskonzept sah fünf Stationen vor, die im Wesentlichen thematisch bestimmt sind, sich zum Teil aber auch mit dem Zeitstrahl überlappen. Neben einer chronologischen Übersicht und einem programmatischen Einführungstext ordnen knapp gehaltene Infotexte die jeweiligen Stationen in den geschichtlichen Kontext ein. Sie wurden per Siebdruck auf die Wand aufgebracht. Eine weitere Textsorte bilden historische Zitate, die als Schriftbänder handschriftlich auf weiß grundierte Streifen auf dem Fußboden aufgebracht sind. Sie erfüllen die Funktion von Stolpertexten, die zum Nachdenken und Nachfragen anregen sollen.

Die erste Station der Ausstellung widmet sich dem Gegensatzpaar Zwangsgemeinschaft vs. Solidargemeinschaft und stellt die heutige Genossenschaft gegen den Autoritarismus des kaiserzeitlichen Militärs, versinnbildlicht durch eine großformatige Wandtafel. Die zweite Station ist eine von Illustratorinnen gestaltete Collage, die die verschiedenen Nutzungen des Hauses unter dem Aspekt der Bildung im emphatischen Sinne im Gegensatz zum militärischen Drill darstellt. Eine weitere Station stellt unter dem gegensätzlichen Begriffspaar Aufbruch vs. Repression in einer Mischung aus Graphic Novel und Überblendungstechnik eine Demonstrationsszene mit durch die Luft wirbelnden Flugblättern und einem Polizeieinsatz dar. Durch die abstrahierende Gestaltung kann das Motiv sowohl auf die historischen Ereignisse der Novemberrevolution oder des Altonaer Blutsonntags bezogen werden als auch als Metapher auf Protest und Polizeigewalt gelesen werden. Den Alptraum von Verfolgung und Vernichtung des Nationalsozialismus stellt ein Kunstwerk dar, das wie eine riesige Stele die gesamte Höhe des Treppenhausschachtes einnimmt. Stilisierte Schienenstränge werden begleitet von Handabdrücken – den ältesten Spuren und künstlerischen Ausdrücken des Menschen –, die sich nach oben hin zu einer schwarzen Fläche verdichten. Die letzte Station der Ausstellung thematisiert in Form einer Bildergeschichte unter dem Motto Hilfe bzw. Helfen die Situation in dem Wohnlager der Nachkriegszeit, aber auch einen Ruhehafen, den die Genossenschaft als Übernachtungsplatz für Geflüchtete im Winter 2015/16 zur Verfügung gestellt hat. Die Schwänze (Tails) der Ratten, die hier auch immer heimisch waren, verwandeln sich in die Fäden, die die Geschichten (Tales) miteinander verbinden.

Bei der Gestaltung der verschiedenen Stationen wurde den jeweiligen Künstler*innen, die sich mit ihrem Thema vertraut gemacht hatten, größtmögliche Freiheit gelassen. Das verbindende gestalterische Element stellte lediglich die einheitliche Verwendung eines Dreiklangs von Farben dar: Dunkelblau, Hellgrau und Rot. In einer Bildtafel, die mit einem Bildzitat aus „Little Nemo“ von Winsor McCay arbeitet, leuchten auch ein paar Tupfer Gelb auf, Ausdruck des schöpferischen Spielraums, der einen Bruch mit der Regel zulässt.

Die gesamte Ausstellung wurde in einem zweijährigen Prozess in zahllosen Arbeitsstunden ehrenamtlich in einem kollektiven solidarischen Prozess erstellt. Ihr Entstehungsprozess war zugleich eine Form der aktiven Umgestaltung und Neuaneignung von Haus und Gelände, eine gemeinsame Konfrontation mit deren Nutzungsgeschichte: Gedächtnisarbeit als Akt des Ein-Gedenkens. Sie markiert einen Bruch und steht für den neuen Geist, der in diese Gemäuer eingezogen ist – im Sinne eines genossenschaftlichen und solidarischen Zusammenwirkens als Blaupause für eine hoffentlich bessere Welt. Oder wie der Historiker Browning in einer Mail an einen der Kuratoren formulierte: „Es freut mich zu hören, dass die Kaserne einer alternativen Nutzung zugeführt wurde.“

Die Ausstellung hat unkonventionelle Wege beschritten und zum Teil Neuland betreten. Sie hat einen offenen Charakter, ist in gewisser Weise „unpädagogisch“, lädt zum Begehen ein und zum Selberdenken an, fordert dieses geradezu heraus. Und sie soll ein Startpunkt sein. Eine Audiotour ist bereits in Arbeit, für das nächste Jahr ist eine begleitende Broschüre zur inhaltlichen Vertiefung der Ausstellungsinhalte geplant und eine umfangreiche Veranstaltungsreihe mit begleitender Filmreihe soll die zahlreichen Aspekte der Geschichte beleuchten und kritisch befragen. Dabei soll auch das räumliche Umfeld mit z.B. dem benachbarten Gerichtsgefängnis, dem Ort der ersten Hinrichtungen während des Nationalsozialismus, einbezogen werden.

Mehmet Alatur, Theo Bruns, Christoph Lohse

(In: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 61, 2021 Online mit zahlreichen Fotos: https://www.akens.org/akens/texte/info/60/Berichte_60.pdf)

ags/ag_denkxmal/artikel_ishz.txt · Zuletzt geändert: 2022/07/04 09:57 von fux.alle